Kräuterwissen im Märchen und Wildpflanzen in der Stadt

SL: Mein Name ist Steven Lundström (SL) und ich habe heute Sonja Bienemann (SB) als Interviewpartnerin zu Gast. Ihres Zeichens Kräuterpädagogin und Kinderbuchautorin. Anlässlich ihrer Lesung aus ihrem Buch „Magdalia und die Gnome“ im Shaere in Neuperlach möchte ich heute mit ihr sprechen. Und natürlich darüber, wie ihr Schreiben und ihre Arbeit miteinander zusammenhängen. Frau Bienemann, schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.

SB: Vielen Dank für die Einladung. Schön, das hier sein darf.

SL: Sie sind ja nun schon des Öfteren in München gewesen. Hier sitzt Ihr Verlag, der Lebensgut Verlag. Und Sie waren auch schon einmal hier im Shaere vor Ort und haben aus Ihrem Kinderbuch „Magdalia und die Gnome“ vorgelesen. Welche Kräuter haben Sie bei Ihren Münchner Aufenthalten bisher so entdeckt?

SB: Was man fast immer findet ist der Spitzwegerich. Und es gibt auch in München Rucola. Rauke gibt es in den Städten auch ganz oft. Also man wundert sich immer, wie viel Kräuter doch auch in der Stadt wachsen. Ich lebe ja in Berlin und bin da auch immer ganz erstaunt, was da wächst. Man kann es nicht immer benutzen, weil die Kräuter oft an viel befahrenen Straßen wachsen. Aber es gibt wirklich viele Kräuter da.

Welche Kräuter wachsen in Städten?

SB: Also ich kann jetzt nicht sagen, dass es Kräuter gibt, die speziell im städtischen Raum verstärkt auftreten, aber es gibt schon eine Häufung. In Berlin zum Beispiel, wo ich viel unterwegs bin, gibt es eine Straße, da wächst im Sommer ganz viel Wegwarte. Da ist der Mittelstreifen im Sommer blau von Wegwarten. Es gibt die Theorie, dass das damit zu tun hat, dass diese Pflanzen Schadstoffe aufnehmen und somit den Boden reinigen. Deswegen wachsen sie an schadstoffbelasteten Straßen oder Flächen besonders gut. Pflanzen wie zum Beispiel der Löwenzahn, Huflattich oder Brennnessel, die als Ruderalpflanzen gelten, sind Wegbereiter für andere Pflanzen. Brennnesseln brauchen viel Nitrat. Darum wachsen sie auch oft an Stellen, wo hingemacht (uriniert) wird. Von Hunden oder Menschen.

Brennnessel ist eine sehr genügsame Heilpflanze.

Welchen Pflanzen folgen Wegbereiterpflanzen wie der Wegwarte?

SB: Wegbereiterpflanzen wachsen ganz oft auf sehr kargen Böden. Diese sind für andere Pflanzen, die mehr Nährstoffe brauchen, nicht interessant. Wenn sie dann verblühen, bringen sie auch wieder Nährstoffe in den Boden ein. Durch ihr eigenes Vergehen wird der Boden irgendwann so bereitet, dass auch andere Pflanzen, die mehr Nährstoffe brauchen, wie Löwenzahn, wachsen können. Der wächst zwar „in jeder Ritze“, braucht aber mehr Nährstoffe. Er ist zum Beispiel auch nur auf gedüngten Wiesen so stark vorhanden. Auf kargen Wiesen sieht man keinen Löwenzahn.

SL: Ich dachte, Löwenzahn wächst quasi immer und überall, was dazugelernt.

SB: Ja, also das ist schon eine Pflanze, die eigentlich überall wächst. Aber wenn man zum Beispiel eine Bergwiese sieht, wo ganz viel Löwenzahn ist, kann man davon ausgehen, dass es eine gut gedüngte Wiese ist.
Löwenzahn wächst wirklich an interessanten Stellen. In einer Baumscheibe oder oben in einer Baumastgabel, habe ich schon Löwenzahn wachsen sehen. Er sucht sich wirklich lustige Stellen aus.

SL: Ich bin auch immer fasziniert, wie sich die Natur ihren Weg am Ende dann doch wieder sucht und findet. Das finde ich toll. Berichten Sie uns ein bisschen von Ihrer Arbeit als Kräuterpädagogin. Sie bieten ja zum Beispiel Workshops und auch Kurse speziell für Kinder an.

Löwenzahn ist eine sehr genügsame Heilpflanze.

Workshops mit Naturmaterialien für Kinder

SB: Ich gehe in Schulen und in Kitas und arbeite mit den Kindern mit Naturmaterialien, so habe ich zum Beispiel in einer KiTa einen Duftpfad und ein Barfußpfad angelegt.
Zusammen mit den Kindern haben wir Duftpflanzen gesetzt, damit sie schon mal das Dufterlebnis gemacht und den Unterschied zwischen Rosmarin und Thymian erlebt haben. Um mal zwei sehr stark duftende Pflanzen zu nehmen, die ja die Kinder auch schon aus dem täglichen Leben kennen können, wenn zu Hause gekocht wird. Oder Lavendel. Es geht darum den Kindern unterschiedliche Düfte nahezubringen.
Oder wir haben einen Barfußpfad angelegt, wo sie erleben, wie sich unterschiedliche Untergründe an den Füßen anfühlen. Das finden Kinder ganz spannend.
Wir basteln mit Materialien, stellen Seife her. Im Herbst haben wir uns angeschaut, dass Kastanien schäumen, denn da sind Seifenstoffe drin. Was ist der Unterschied, wenn man eine Kastanie klein macht und in Wasser aufschüttelt? Oder wenn man eine Eichel auch schüttelt? Da passiert nix, da wird das Wasser nur trüb.

Kräuter im Klassenzimmer: Welche steigern die Aufmerksamkeit und regen die Sinne an?

SB: Pflanzen in Klassenzimmern wären generell gut, um sie zu lernfreundlicheren Orten zu machen. In den Schulen und Kitas, in denen ich unterwegs bin, ist es meist der Fall, dass ein bisschen Ruhe ins Klassenzimmer einkehren muss. Dazu kommt Lavendel in die Klassenzimmer zum zwischendurch mal dran schnuppern.
Auch ätherische Öle eignen sich. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Das führt aber an dieser Stelle zu weit. Da muss man sich genauer anschauen, was die einzelnen Kinder brauchen. Die einen brauchen Kräuter zum Fitterwerden oder zum Wachbleiben. Da kann Rosmarin helfen, der macht sofort wach im Kopf. Der Lavendel im Gegenzug dazu, ist dann zum Runterkommen.

SL: Also ich finde Lavendel auch toll. Das hätte mir als Schulkind sehr gefallen. Aber gut, ich möchte jetzt auf Ihr Buch zu sprechen kommen. Sie möchten Ihr Wissen weitertragen und anderen zugänglich machen. Lassen Sie uns über die Tradition der Kräuterweiber sprechen. Sie erwähnen zum Beispiel Ursel Bühring, bei der Sie in die Schule gegangen sind.

Lavendel verbreitet im klassenzimmer einen entspannten Duft

Sehen Sie sich in der Tradition der Kräuterweiber und Geschichtenerzähler?

SB: Ursel Bühring ist eine der Großen für mich, mein großes Vorbild. Und es ist einfach das Wissen, Kräuterwissen in Geschichten verpackt weiterzugeben, habe ich festgestellt. Das habe ich von ihr gelernt, dass das einfach besser hängenbleibt, dass Leute nicht die Inhaltsstoffe von der Pflanze und die sekundären Pflanzenstoffe wissen wollen. Das merkt sich niemand. Aber wenn man das in eine Geschichte verpackt, das Wissen über Pflanzen, dann merken sich das die Menschen. Und wenn Leute wiederkommen zu Führungen oder zu Veranstaltungen, dann haben sie sich oft das gemerkt, was in dieser Geschichte gewesen ist. Ich möchte mein Wissen nicht so trocken rüberbringen. Das ist mein Anliegen.

Kräuterwissen wurde vielfach mündlich überliefert. Im Zuge der Hexenverbrennung ist ganz viel Kräuterwissen und traditionelles Frauenwissen verloren gegangen. Das hat nichts mit besonderer Magie zu tun. Wir können weder hexen noch zaubern. Das ist fundiertes Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde und lange auch im Verborgenen weitergegeben werden musste.
Auch Hildegard von Bingen hat es nicht einfach gehabt. Es war ja nicht so, dass sie überall beliebt war. Als eine kluge Frau, als eine Frau mit ganz viel Wissen ist sie in der Kirche angefeindet worden, weil Frauen durften gar nicht so viel wissen. Und wenn eine Frau einer anderen Frau geholfen hat, weil sie ja nicht noch ein Kind haben wollte, dann war die verpönt. Das war eine Hexe und die war mit dem Teufel im Bund.
Oder einfach einer Frau im Kindbett geholfen zu haben, allein das war schon verdächtig. Also alles, wo Frauen den Frauen geholfen haben. Frauen, die dieses Wissen hatten, wurden angefeindet und haben dann deswegen auch zunehmend im Verborgenen gearbeitet.

SL: Die Bewahrung der Tradition ist anscheinend oft mündlich passiert. Wissen wurde tradiert von einer Kräuterfrau zur nächsten, vielleicht in Form von Märchen und Geschichten.

Die Wegwarte lernen wir hier in einer Geschichte näher kennen.

Erzählen Sie uns doch ein Kräutermärchen! Sie haben ja selbst schon mehrere Kräutermärchen geschrieben.

SB: In der Ausbildung wurden uns kleine Geschichten erzählt, die wir weitererzählten.

Die Geschichte der Wegwarte

Da gibt es diese kleine Geschichte, dass die Wegwarte ihren Namen bekommen hat, weil es einst eine Jungfer gab, die auf ihren Liebsten wartete. Der Jüngling ging fort und sie sagt „Ich warte hier auf dich“. Und das tat sie tagein, tagaus und blieb da stehen. Und niemand konnte sie dazu bewegen, dort wegzugehen. Und irgendwann hatte der liebe Gott ein Einsehen und hat sie in diese schöne blaue Blume verwandelt, die heute noch am Wegesrand steht und auf den Liebsten wartet. Und das aber nur bis 12:00 Uhr mittags. Ich sag immer, weil am Nachmittag die Wegwarte ihr schönes Kleid dann auch schon wieder ablegt und sich für den nächsten Morgen schön macht.

Oder die Geschichte vom Vergissmeinnicht

Da gibt es auch eine Geschichte dazu, dass ein junger Mann auszog um das „große Glück und Reichtum“ zu finden. Seine Liebste hat ihm ein Vergissmeinnicht Sträußchen an den Hut gesteckt und er hat einen Schatz in einer gefährlichen Höhle gefunden. Den Schatz konnte er mitnehmen, aber das Sträußchen Vergissmeinnicht verliert er dort. Und als er rauskommt, wird ihm klar, er hat zwar jetzt ganz viel Geld, aber die Liebe hat er verloren.

Das Vergissmeinnicht lernen wir hier in einer Geschichte näher kennen.

SL: Das sind schöne Geschichten. Das bringt mich spontan zu einer Frage. Sie hatten ja bei Frau Bühring eine Ausbildung absolviert und als Abschlussarbeit haben Sie eine Geschichte vorgelegt. Erzählen Sie uns doch etwas zu der Geschichte.

SB: Das ist die Geschichte der kleinen Biene. So eine, die jetzt auch inzwischen veröffentlicht worden ist. Sie ist 2022 in der Holunderelfe veröffentlicht worden. Das ist die Zeitschrift für Waldfeen, Textilkünstlerinnen und Kräuterweiber. Ich hoffe, ich habe die Reihenfolge jetzt richtig genannt.
Die Holunderelfe erscheint viermal im Jahr und in jeder Ausgabe 2022 gibt es eine Folge von der kleinen Biene Summserine.
Die erste Geschichte, die ich damals in der Ausbildung geschrieben habe als Abschlussarbeit, das war die kleine Biene und der Löwenzahn. Die kleine Biene ist ein bisschen anders als alle anderen Bienen und die spricht mit den Pflanzen und lässt sich von den Pflanzen erzählen, was die so alles können. Und der Löwenzahn, der ist stark und erzählt, was er alles so kann und dass er von der Blüte bis zur Wurzel nützlich ist. Und sie fliegt dann ganz aufgeregt wieder in den Stock und erzählt das ihren Schwestern.

Auszug aus einem Inteview vom 9.12.2022. Das ganze Gespräch von Sonja Bienemann und Steven Lundström findet sich hier im Literaturradio Hörbahn.

Über Sonja Bienemann

Sonja Bienemann ist ausgebildete Kräuterpädagogin und Wechseljahreberaterin und verfügt über die Fortbildung „Grüne Hausapotheke“. Mit ihren Kräutermärchen und Geschichten möchte sie ihr Wissen an Kinder und Erwachsene weitergeben, um so den Blick für die Kräfte der Natur zu schärfen. Auch der Umweltschutz ist ihr ein großes Anliegen.

Sonja Bienemann - Autorin

Fotos: Verena Wagner

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