Vulva-Shaming? Zu große „Schamlippen“? Es gibt keine normschöne Vagina!

Die Normierung der Vulva und des weiblichen Genitalbereichs ist seit Jahren in vollem Gange. Unter dem Schlagwort „Designer-Vagina“ hat die chirurgische „Verschönerung“ der weiblichen Genitalien ein beachtliches Medienecho gefunden und erfreut sich nicht abreißender Beliebtheit.

Leben wir in einer Kultur, die das Weibliche -
 wie es von Natur aus ist, nicht verehrt, sondern verändern möchte?

Weißt du, wie einzigartig und vielfältig Vulven aussehen?
 Wer gibt die genitalen Schönheitsideale vor, und warum? Was macht das mit uns Frauen? Was treibt Frauen dazu, ihre „Schamlippen“ beschneiden zu lassen? Im folgenden verwenden wir das Wort Vulvalippen, denn keine Frau muss sich für ihre Körpermitte schämen. Diese Scham hat sich sogar in den Begrifflichkeiten niedergeschlagen. Das finden wir traurig und wollen darauf achtgeben.

Haben wir die Achtung vor dem Wunder „Leben“ verloren? Diese Frage stellt sich die Vulva-Aktivistin Grit Scholz. Die Autorin dieses Gastbeitrages hat bereits vor 15 Jahren die Notwendigkeit erkannt, das Tabu – „Weibliche Genitalien dürfen nicht betrachtet werden.“ zu brechen. Dazu hat sie das Kultbuch „Das Tor ins Leben“, ein Fotografie- und Bilderbuchprojekt über weibliche Genitalien gemeinsam mit einem großen Frauenkreis herausgegeben. Denn dieses kulturelle und gesellschaftliche Tabu, hatte zur Folge, dass die Unwissenheit über weibliche Geschlechtsorgane so groß wurde, dass kaum mehr eine Frau und auch Mediziner und Medizinerinnen wussten – wie vielfältig die Natur die weiblichen Genitalien gestaltet hat.

Wichtig gleich vorab die Erklärung der korrekten Bezeichnungen: Vulva und Vagina ist nicht daselbe! Vulva bezeichnet die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane wie innere und äußere Vulvalippen und Klitoris. Ab dem Eingang zu den inneren Geschlechtsorganen sprichst du von Vagina.

Für die Beschaffenheit der Vulva gibt es KEINE Norm, doch Pornoindustrie, Schönheitschirurg*innen und Mediziner*innen aber auch die Medien entwickelten einen Trend hin zur „kleine Mädchen-Vulva“, die unbehaart sein sowie keine oder nur kleine innere Schamlippen haben sollte.
Vulva-Aktivstin Grit Scholz
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Die Vulva ist aber in Wirklichkeit in Form, Farbe und Anatomie sehr, sehr individuell, sie ist wie ein Spiegel und zeigt durch ihre Gestalt viel vom Wesen der Frau.

Blick ins Buch gegen Vulva-Shaming: Vulven verändern sich mit dem körperlichen und emotionalen Befinden der Frau.

Früher galten große innere Vulvalippen als besonders weiblich und kraftvoll.

Die Vulva ist eine Verwandlungskünstlerin und verändert ihr Aussehen entsprechend dem körperlichen und emotionalen Befinden der Frau. Dies ist jedoch nur eine erwachsenen, gesund entwickelten Vulva möglich. Die Vulva eines kleinen Mädchens besitzt diese Fähigkeiten noch nicht.

In unserer Kultur und Gesellschaft fehlt die liebevolle Aufklärung und Wertschätzung über die Vulva, diesen wundervollen Körperteil – das Tor ins Leben – über ihre Gestalt und Funktion fast vollständig.

Stattdessen gibt es eine Tabuisierung und Sexualisierung, die Missbrauch und Scham regelrecht produzierten. Inzwischen gibt es auch immer mehr Normierungen, sogar von Medizinern, die da heißen, die äußeren Vulvalippen müssten die Inneren umschließen – was bei den wenigsten Frauen im entspannten Zustand der Fall ist.

Immer stärker wurde auch durch die Pornoindustrie ein genitales Ideal von Weiblichkeit geprägt, was mit Weiblichkeit wenig zu tun hat, sondern an kindliche Unschuld erinnern soll.

Vulven ohne Körperbehaarung, ohne innere Vulvalippen, oder mit nur ganz kleinen, so wie es bei kleinen Mädchen der Fall ist – prägen die Bilder der Sexindustrie. Diese ist längst der Schmuddelecke entwachsen und von der Gesellschaft anerkannt, so dass inzwischen die meisten Jugendlichen glauben, Sexualität wäre das, was sie aus Pornofilmen kennen. Bedauerlicherweise sie versuchen sich diesen Vorbildern anzupassen. Aber natürlich betrifft das nicht nur Jugendliche, denn Pornos werden von allen Altersstufen konsumiert und im Internet auch privat produziert und öffentlich gemacht.

Blick ins Buch für die Vielfalt der Vulva, hier eine rasierte Vulva mit einer inneren Vulvalippe, die über die äußeren Vulvalippen hinausragt

Das Wort „Schamlippen“ durch Vulvalippen ersetzen

Gerade Frauen haben kaum Möglichkeiten, die Vulven von anderen Frauen zu betrachten, es sei denn sie haben intime Beziehungen mit Frauen. Die eigene Vulva wirklich zu kennen, ist auch nicht leicht, denn Frau sieht sich selbst aus einer Perspektive, die es ihr nur mit Spiegel oder Kamera erlaubt – wirklich das gesamte eigene Genital zu betrachten.

Wie soll mit dieser Schambehaftetheit liebevolle, respektvolle Erotik entstehen? Ein achtsamer respektvollen Umgang mit dem eigenen Körper und den Körpern anderer Menschen ist die Grundvoraussetzung für Sexualität auf Augenhöhe.

Was in unserer Gesellschaft leider noch immer stark unterrepräsentiert ist, ist ein Gegengewicht zu sexualisierter Gewalt in Pornos, aber auch in Action-Filmen und in der Werbung. Es mangelt in den Medien an natürlicher Erotik, emotionaler Verbundenheit, liebevoller, achtsamer und spiritueller Intimität und Sexualität. Was völlig zu kurz kommt, ist Kinder und Jugendliche zu begleiten und zu unterstützen, dass sie Erfahrungen sammeln können und somit Wissen erwerben, welches sie zu einem gesunden und natürlichen Körpergefühl führt. Das gilt für Jungen genauso wie für Mädchen, auch wenn ich hier besonders die weibliche Seite anspreche.

Es braucht eine diverse Sexualberatung und Aufklärung, Workshops in Schulen und Jugendeinrichtungen. Die einseitigen Informationen über eine tabulosen und oft körper- und seelenfeindlichen Sexualität haben schwere Folgen auf die Psyche der Menschen und dem Umgang zwischen Mann und Frau hinterlassen.

Blick ins Buch gegen Vulva-Shaming: Vulva mit unterschiedlich großen Vulvalippen

Für ein neues Bewusstsein in Sachen Schönheit

Grit Scholzs Aufklärungsvideos z.B. bei youtube, auf denen sie gewaltfreie, natürliche Bilder von Vulven zeigte, wurden gesperrt. Pornografische Darstellungen sind dagegen überall zu finden. Mit ihrer Arbeit, ihrem Buch, Fotoausstellungen, Vorträge und Diashows hat sie in den Nuller Jahren Pionierarbeit geleistet. Sie wollte der einseitigen Informationsflut etwas entgegen setzen und fühlte sich streckenweise sehr allein mit dem Thema. Trotz zahlreicher Initiativen wie feministische Organisationen, Sexualberatungen u.a. fand das Thema kaum Öffentlichekit. Heute sieht das schon anders aus. Zumindest gibt es Medien, die sich des Themas auf eine kritische Art annehmen und auf die Diversität von Sexualität und Geschlechtsorganen hinweisen.

Hier lest ihr im Missy-Magazin einen Text zum Thema Vulva-Shaming und Big Pussy Energy.

In der Deutschen Welle kommt die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Mithu Sanyal in einem Artikel über Körperbehaarung und Body Positivity zu Wort. Sie hat ihre Doktorarbeit über die Vielfalt der Vulven geschrieben.

Und auch Periodenunterwäsche-Hersteller helfen mit, andere Sehgewohnheiten zu entwickeln und das Thema zu enttabuisieren.

Hier im Standard-Artikel geht es um das weibliche Kennenlernen der Vulva, das seit einigen Jahren verstärkt durch neue Bücher, Workshops wie Vulva aus Gips gießen und mehr möglich ist.

Blick ins Buch - Das Tor ins Leben, Vulva, Yoni mit großen und dunklen Vulvalippen und Körperbehaarung

Warum finden so viele Frauen längere innere Vulvalippen unästhetisch?

Warum empfinden viele Frauen lange Vulvalippen als unästhetlisch? Weil es inzwischen eine Prägung in ihnen gibt, die dieses Empfinden auslöst. Diese Prägung geht am Ende so weit, dass Weiblichkeit mit unrein und eklig in Verbindung gebracht wird – dies hat die Kirche tief in das kollektive Bewusstsein der Frauen geprägt, Kindlichkeit dagegen wird mit Reinheit, Schönheit und Unschuld in Verbindung gebracht.

Die Folgen von diesen Fehlinformationen und Manipulationen sind schwerwiegend. Viele Frauen fühlen sich völlig verunsichert im eigenen Körper und spalten den genitalen Bereich vollkommen ab – dies geschieht schon seit vielen hunderten Jahren, seit die Weiblichkeit als solches nicht mehr verehrt, sondern verteufelt und sexualisiert wird.

Eine Frau, die ihre eigenen Genitalien hässlich findet und abspaltet, verliert den Zugang zu den Energien und Gefühlen aus diesem Bereich. Viele Frauen versuchen sexuell zu funktionieren und wundern sich, warum sie keinen Genuss dabei haben. Anstatt sich an den ästhetischen und sexuellen Bedürfnissen von Männern zu orientieren, lohnt es sich den eigenen (weiblichen) Zugang zu Sexualität und Erotik zu erforschen.

Eine Frau, die auf der genitalen Ebene nicht liebevoll mit ihrem Körper verbunden ist, hat oft vielfältige psychische Probleme

  • nicht NEIN sagen können
  • sich als Opfer fühlen
  • nicht gut genug sein
  • etwas beweisen müssen auf der materiellen Ebene
  • kein Selbstvertrauen
  • Verunsicherung
  • Scham
  • sexuelle Abhängigkeit und Überbewertung des Sexuellen
  • Verwechslung von Liebe und sexuell benutzt werden
  • Hilflosigkeit
Blick ins Buch "Das Tor ins Leben" für mehr Body Positivity: Hier eine Vulva mit buschiger Intimfrisur

Normschöne Vagina: Selbstoptimierung oder Selbstverstümmelung?

Für viele Frauen scheinen die Angebote der Schönheitschirurgen so etwas wie eine Rettung zu sein. Die Angebote sind sehr vielfältig und werden oft unter dem Begriff „Designer-Vagina“ angeboten.

Manche nennen es auch „Schamlippenkorrektur“. Vergrößerung der Klitoris, Verengung der Vagina, Modellierung des Venushügels und Aufspritzung des G-Punktes für mehr Lustempfinden, sind nur einige Dienstleistungen, die Frauen in Anspruch nehmen können. Nicht zuletzt bestimmt die Nachfrage das Angebot. Das zeigt, dass viele Frauen das Bedürfnis haben, bestimmte Korrekturen an ihren Genitalien vornehmen zu lassen. Sie gehen dafür bereitwillig verschiedenste Risiken ein, die von den Medizinern oft heruntergespielt werden. Denn Narben hinterlassen immer Störfelder und in diesem sensiblen Bereich können dann chronische Schmerzen und Empfindungsstörungen auftreten. Bis hin, dass eine natürliche Geburt behindert wird – je nachdem, um welchen Eingriff es sich handelt.

Die TAZ schrieb 2018 zum aus Thailand nach Europa herübergeschwappten Trend des analen, Penis- und Vulva-Bleechings. Diese Art der Körpernormierung gesellt sich zur beschnittenen Designer-Vagina. Hoffentlich steigt die Zahl der Menschen, die sich das mit der Selbstoptimierung ihrer Körper noch einmal gut überlegen.

In über 15 Jahren Frauenarbeit habe ich erleben dürfen, was mit Frauen geschieht, die sich wieder liebevoll mit ihren Genitalien verbinden. Die bewusst erkennen, welchen Zusammenhang ihr Körpergefühl und die Ablehnung und Abtrennung der Genitalien – mit ihrem Empfinden, ihrer Psyche und ihrem gesamten „in der Welt sein“ hat.

Ich denke, jeder Mensch sollte frei entscheiden können, wie er mit seinem Körper um geht, wie er Sexualität lebt. Doch um eine freie Entscheidung treffen zu können, brauchen Menschen Wahlmöglichkeiten, Alternativen – und keine einseitigen dogmatischen und normierten Vorgaben, seitens der Kultur und Medien.

Grit Scholz

Die Fotos sind aus dem Vulva-Kultbuch „Das Tor ins Leben„, für das der LebensGut Verlag gegründet wurde.

Über Grit Scholz

Grit Scholz wurde 1965 in Leipzig geboren und lebt heute in Elsteraue in Sachsen-Anhalt. Die Mutter von zwei Töchtern ist als selbstständige Grafikerin, Autorin, Fotografin und Prozessbegleiterin tätig.

Autorin Grit Scholz

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