- Wie ist es möglich, dass die Bemerkung: „Du bist wie deine Mutter“ für viele Frauen fast schon ein Schimpfwort ist?
- Welche Faktoren wirken durch Schwangerschaft und Geburt auf die Mutter-Kind-Beziehung ein?
- Wie die patriarchale Gesellschaftsstruktur keinen Platz für eine gesunde Mutter-Tochter-Beziehung lässt
- Hast du deine Mama-Medizin genießen können?
- Die Schnecke als Krafttier für Mütter
- Dankbarkeit, für das was ist
- Die Mutter-Tochter-Enkelin-Linie
- Über Jutta Westphalen
Vielleicht bist du Mutter von einer oder mehreren Töchtern, aber auf jeden Fall bist du die Tochter einer Mutter und hast selbst viel Erfahrung gesammelt mit diesem Thema.
Wie ist es möglich, dass die Bemerkung: „Du bist wie deine Mutter“ für viele Frauen fast schon ein Schimpfwort ist?
Was hat die ursprüngliche tiefe, liebevolle Bindung zwischen Mutter und ihrem Kind so zerstört, dass eine Frau ihre Persönlichkeit und Authentizität ohne ihre Mutter definiert und sich von ihr radikal abgrenzt?
Im natürlichen Leben stillt eine Mutter alle Bedürfnisse ihres Babys und gibt ihm ein stabiles Fundament. Doch viele Eltern haben es nie gelernt, mit Emotionen umzugehen. Ganz sicher hatten sie die besten Absichten. Aber die notwendigen emotionalen Fähigkeiten fehlten, denn sie haben es auch von ihren Eltern nicht vorgelebt bekommen. So ist ein Kreislauf entstanden, den wir unterbrechen müssen, um nicht die Härte in Gefühlsdingen an unsere Töchter weiterzugeben.
Welche Faktoren wirken durch Schwangerschaft und Geburt auf die Mutter-Kind-Beziehung ein?
Es gab schon Probleme, bevor wir auf die Welt gekommen sind und es gibt und gab Probleme, bevor unser Baby auf die Welt kommt.
In der Schwangerschaft
In der Schwangerschaft haben Frauen schon häufig mit körperlichen Problemen zu tun, wie Übelkeit und Erbrechen. Sie sind empfindsam, spüren Überlastung, Stress und haben Probleme mit dem Partner. Bis zu 20% der werdenden Mütter sind von einer Depression und 25% von einer Angststörung betroffen. Sie zweifeln immer wieder an sich, sind ruhebedürftig, können sich nicht so gut konzentrieren und leiden an Schlafstörungen. Doch sie müssen in unserer Welt genauso funktionieren wie vor der Schwangerschaft. Die Hormone Östrogen und Progesteron steigen während der Schwangerschaft und können zu emotionaler Unausgeglichenheit führen.
Auch die Sorge ums Baby, die Angst vor Verantwortung und vor der Geburt verunsichern die werdende Mutter. Die Stimmungsschwankungen können zu Streit mit dem Partner führen und zu Stress im Beruf. Manche Frau fürchtet den Kontrollverlust über ihren Körper und die fehlende Selbstbestimmung, wenn ihr Kind geboren ist. All dies kann eine Depression befördern. – Viele Frauen überspielen dies, um eine glückstrahlende werdende Mutter zu sein und meistens klingt eine Schwangerschaftsdepression nach ein bis zwei Wochen ab. Wenn sie länger dauert, ist professionelle Hilfe angesagt. Grundsätzlich ist es wichtig, dass sich eine werdende Mutter geborgen und unterstützt fühlt von der Familie, Freunden und Vertrauenspersonen.
Die Geburt in einer schulmedizinischen geprägten Kultur
Fast jede dritte Geburt ist in Deutschland eine Kaiserschnittgeburt. Obwohl ursprünglich als Notfallmaßnahme gedacht, wird ein Kaiserschnitt immer häufiger ohne zwingenden medizinischen Grund durchführt. Er hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten fast verdoppelt. Auf der einen Seite haben viele Frauen Angst vor einer natürlichen Geburt und auf der anderen Seite besteht Personalmangel in den Kliniken. Für viele Frauen und ihre Partner verlief die Geburt ihres ersten Kindes in einer Klinik traumatisch, weil unzählige kontrollierende Eingriffe vorgenommen wurden. Wenn Ärzte während der Zeugung ebenso viel Kontrolle ausüben würden, gäbe es bald keine Kinder mehr. Die medizinischen Eingriffe blockieren den natürlichen Fluss der weiblichen Kraft während der Schwangerschaft und Geburt. Die Frau denkt dann: Ich bin falsch, ich mache es nicht richtig, ich bin schuld, dass die Geburt nicht klappt. Oder sie sagt sich: Ich beiße die Zähne zusammen, so schlimm ist es doch gar nicht.
In beiden Fällen läuft sie vor ihrem Geburtstrauma davon. Schuld und Scham können den tiefen weiblichen Schmerz nicht heilen. Denn die Gefühle sind da, nur eingekapselt und oft unbewusst. Wenn uns die Möglichkeit genommen wird, Geburten ganz natürlich zu erleben, bleiben wir im Trauma hängen. Wir sind von unserer Kraft als Frau getrennt und auch das Kind verliert wichtige Entwicklungsmöglichkeiten, wenn es nicht den natürlichen Geburtsprozess erfährt.
Eine kleine Geschichte vom Schmetterling verdeutlicht, was ich meine:
Eine Frau beobachtete einen Schmetterling, der sich abmühte, um sich aus seinem Kokon zu befreien. Er strengte sich unglaublich an und dieser Prozess dauerte viele Stunden. Schließlich hatte die Frau Mitleid und half dem Schmetterling, indem sie den Kokon mit einer Schere aufschnitt. Natürlich dachte sie, sie hätte eine gute Tat getan –, doch der Schmetterling hatte seine Muskeln nicht trainiert und konnte nicht fliegen …
Wie die patriarchale Gesellschaftsstruktur keinen Platz für eine gesunde Mutter-Tochter-Beziehung lässt
Wir sollten hinterfragen, ob vieles, was inzwischen in unserem Leben Alltag geworden ist, auch auf lange Sicht sinnvoll ist. Ob es uns dabei unterstützt, unsere Kraft als Frau wiederzuerlangen. Unsere Energie möchte fließen, unter der Geburt und im gesamten Leben. Auch bei PDAs (Periduralanästhesie) wird unsere Energie daran gehindert, zu fließen und sich auszudrücken. Denn wir spüren weder uns noch das Kind. Nicht nur wir selbst sind betäubt, sondern auch unser Baby. Doch inzwischen empfinden wir traumatische Geburten als normal: Kaiserschnitte, Geburten mit Saugglocke und Dammschnitte sind üblich. Die sofortige Durchtrennung der Nabelschnur ist die Regel. Anschließend wird das Baby gewogen, untersucht und vermessen. Es kommt ins Kinderbettchen und wird selten gestillt, denn es gibt geeignete Ersatzmilch. Mutter und Kind werden gleich voneinander getrennt.
Diese Geburtspraxis entspricht nicht der natürlichen Ordnung und beeinflusst unsere Erinnerung. Die frühe Trennung erzeugt tiefen Schmerz und Traumata. Sie raubt uns die Anbindung an unsere Kraft und verhindert das Urvertrauen, sodass wir weder uns selbst noch dem Leben vertrauen. Diese Trennung zieht sich oft durch unser ganzes Leben und wir sehen sie im Außen überall gespiegelt. Unsere Kinder geben wir in Krabbelgruppen, Kindergärten und Schulen und lassen sie von fremden Menschen erziehen, damit sie später in der Gesellschaft funktionieren.
Die alten „unproduktiven“ Menschen vereinsamen in Altenheimen. Frauen sind in den Mühlen des Patriarchats eingebunden, in der die Gleichberechtigung zur Gleichmacherei geworden ist und damit zu einer weiteren Form der subtilen Unterdrückung. Denn nun dürfen Frauen nach einer Geburt keine Rundungen haben, Mütter müssen berufstätig sein und ihre kleinen Kinder abgeben.
Wir erleben die Trennung von Mann und Frau, Himmel und Erde, Arm und Reich, Mensch und Natur, Körper und Geist, Jung und Alt … Doch sobald wir dieses Prinzip der Spaltung erkannt haben, können wir es überwinden.
Wird unsere Welt immer unnatürlicher, kehren wir zu unseren Wurzeln zurück.
Wir lassen uns nicht länger täuschen, verwirren und gegeneinander ausspielen. Jetzt übernehmen Frauen die Verantwortung für ihr Leben, denn uns gehört die Hälfte der Welt. Genau darum geht es! Wir sind nicht länger Opfer der Umstände, sondern unser Leben ist das Ergebnis unserer Entscheidungen. Vieles können wir nicht ändern. Aber es liegt immer in unserer Macht, wie wir auf die Ereignisse antworten.
Hast du deine Mama-Medizin genießen können?
Wir brauchen das Erinnern unserer Kraft, die ihre Gültigkeit auch heute noch hat. Es ist die Energie einer Mama, die sich auf ihr Kind ausrichtet, mit all ihrer Lebendigkeit und Bewusstheit. Sie hat ihre Wurzeln in der tiefen, alles umfassenden Liebe. Gerade jetzt brauchen wir sie, um das zu vollenden, was unsere Ahninnen begonnen haben: den Wandel der Erde in Liebe mitzugestalten.
Wenn Mama und Papa Vollzeit arbeiten, wie es jetzt üblich ist, verbringen sie am Wochenende „quality time“ als Familie. Das bedeutet meistens, dass die Zeit verplant ist mit „erlebnisreichen“ Aktivitäten. Doch wo bleibt die Zeit, in der Kinder frei spielen können, ohne unterbrochen zu werden? Wann können sie kleine Tiere beobachten oder üben, auf Baumstämmen zu balancieren, stundenlang im Sand spielen, selbstvergessen malen und sich in Ruhe ausprobieren? Und wann können Mama und Papa mal richtig ausspannen? Im Zusammensein mit Kindern sind Ruhe und Langsamkeit wichtige Werte. Doch was ist wirklich wichtig?
Die Schnecke als Krafttier für Mütter
Mama-Medizin ist ganz einfach Präsenz. Du bist da beim Waldspaziergang und entspannst dich. Durch deine Füße füllst du dich mit sanfter Erdmutter-Energie, ziehst sie hoch in dein Herz, lässt sie in die Hand fließen, mit der du dein Kind anfasst und leitest die warme mütterliche Kraft ins Herz deiner Tochter oder deines Sohnes. Dies geschieht ganz leicht, während du den Geschichten deines Kindes lauschst. Du bist da, ihr pflückt zusammen Blumen, lauscht den Vögeln, du zupfst ein Blatt aus dem Haar, lächelst, bist ansprechbar, aufmerksam, und interessiert. Du strahlst Liebe und Geborgenheit aus, schenkst Wärme und Sicherheit. Das ist bewusste Mama-Zeit. Mama-Medizin.
Zeit für die Kinder zu haben, bedeutet nicht, nur Hausfrau zu sein.
Eine gute Mama kann eine schlechte Hausfrau sein, die lieber Klavier spielt, als Fenster zu putzen. Doch wenn eine Frau im Beruf genauso viel arbeitet wie ein Mann, gilt sie als emanzipiert. Vielleicht ist sie glücklich damit. Wenn sie jedoch zusätzlich den Haushalt versorgt und Mama-Medizin verschenkt, überfordert das jede Frau. Dass gute Mütter auch gute Hausfrauen sein müssen, ist eine sehr frauen- und mütterfeindliche Annahme. Denn eine gute Mutter hat andere Prioritäten als eine Frau, deren Haushalt perfekt organisiert ist. Unsere Gesellschaft ist traditionell so organisiert, dass der Mann voll berufstätig ist und alles andere die Frau regelt.
Ist die Mutter jedoch auch voll berufstätig, bleibt keine Zeit für Mama-Medizin, die oft aussieht wie Nichtstun. Mama-Kinder-Zeit ist spielen, vorlesen und ruhig im gleichen Zimmer sein. Es ist eine innere Entscheidung, in Ruhe, Liebe und Herzenswärme zu verströmen.
Mütter könnten viel stärker sein, wenn sie für diese Mama-Medizin Anerkennung bekommen würden. Die Welt wäre eine völlig andere, wenn wir uns alle – Männer und Frauen – erlauben würden, weicher, lustvoller und entspannter zu leben, sodass die Mama-Medizin fließen kann.
Dankbarkeit, für das was ist
Wir wären zufriedener, hätten wir diese Medizin als Kinder genießen können. Und um wie viel glücklicher wären wir, wenn wir gelernt hätten, die Mama-Medizin dankbar anzunehmen. Die Mama-Medizin ist ruhig, weich und unauffällig. Aber sie ist reine Liebe und der Klebstoff, der die Welt zusammenhält.
Nicht alle Frauen sind Mütter, aber alle Frauen sind Töchter einer Mutter: Dein Verhältnis zu deiner Mutter ist natürlich davon geprägt, wie sie selbst zu ihrer Mutter steht: Wie liebevoll verbunden oder innerlich getrennt sie sich fühlt. Diese Mutter-Tochter-Enkelin-Linie geht ganz weit zurück bis zu unserer Urmutter, der allerersten Frau. Diese weibliche Blutlinie prägt wiederum dein Verhältnis zur Großen Mutter, zu Mutter Erde.
- Wie sehr liebst du dein Leben?
- Wie denkst du über dich selbst?
- Wie stehst du zu deiner weiblichen Schöpferkraft, der Kraft deiner Gebärmutter?
- Welches Verhältnis hast du zu deinem Körper?
Die Mutter-Tochter-Enkelin-Linie
In deinem Leben bist du die Nummer eins, das Zentrum, die Mitte des Kreises. Doch du bist nicht alleine. Es gibt auch die Beziehung zum anderen und die Verbindung zu den unterschiedlichsten Ebenen des Lebens.
Da ist die Beziehung zu deiner Mutter und deinen Ahninnen. Die Verbindung zu deinem Vater und seiner Ahnenreihe. Sie bilden deine Wurzeln, den physischen Körper.
Du lebst in Verbindung zur Natur, zu Tieren, Pflanzen, Bergen, Wiesen und Tälern. Du bist verbunden mit dem Himmel, den Vögeln, Engeln und allen spirituellen Wesen – und du bist verbunden mit der Sonne, dem Mond und den Sternen. All diese Verbindungen und Beziehungen zur Familie und anderen Menschen gehören zu dir. Du bewegst dich auf unzähligen Pfaden und veränderst dich dabei ständig.
Gleichzeitig veränderst und beeinflusst du alles um dich herum – allein durch dein Hiersein. Ganz praktisch, indem du handelst und einen Stein ins Wasser wirfst, sodass Kreise entstehen. Indem du lachst und andere zum Lachen bringst, indem du weinst und andere zum Weinen bringst, indem du segnest, liebst, träumst und kreativ bist schaffst du Verbindungen und webst dein Leben.
Die Verbindung der Frauen, von Müttern und ihren Töchtern
Die Verbindung der Frauen und ihrer Töchter ist uralt und wunderschön – so schön und wertvoll wie die Liebe unzähliger Frauen zusammengenommen. Sie ist gewebt aus tausend Lebensmustern, in immer neuen Variationen, zusammengesetzt aus sichtbaren und unsichtbaren Regenbogenfarben.
Jede Frau, die irgendwo auf der Erde gerade schwitzt, vor Anstrengung keucht und presst und einem Kind das Leben schenkt, bereichert diese Verbindung der Mütter. Ganz genauso wie jede Frau, die kreativ ist und etwas Neues in die Welt bringt. Jede verziert diese tiefe Beziehung durch ihr einzigartiges Sein.
Diese magische Verbindung der Frauen und Mütter haben unzählige Frauen vor uns mit ihrem Leben beschützt. Sie haben sich gekümmert, gepflegt, gestopft, gepflanzt, getröstet, verziehen, geputzt, gewischt, gefegt, gefüttert, gesammelt, gestrickt, repariert, geschliffen, gewartet, gejätet, gehalten, zugehört, aufgeräumt, genäht, geschrubbt, geschält, gespielt, genährt und gestreichelt. Sie haben Schnittstellen gehütet, Spielräume kreativ ausgenutzt, Sinnvolles von Unsinnigem getrennt, Regeln unterlaufen, Verkleidungen an- und abgelegt, Auswege gefunden und das, was noch nicht da ist, vorausgeliebt.
Während eine Großmutter strickt, lässt sie fast beiläufig einen Faden durch ihre Finger gleiten, spricht mit ihrer Enkelin, gibt Anweisungen in der Küche und tut anderes. Sie lässt los, spannt an, nimmt wieder auf, lässt ihre Hände einen Tanz vollziehen zwischen Durcheinander und Ordnung. Das Garn in ihren Händen erzählt in vielen Figuren Geschichten aus ihrem Leben. Sie bilden Gewebe aus wiederkehrenden Mustern. Denken und Tun verbinden sich, verweben die Welt ins Hier und Jetzt. Das, was die Welt zusammenhält und gestaltet, sind nicht all die Dinge, Sachen und Leute, sondern die Beziehungen, Tätigkeiten und Prozesse.
Nur weil Mütter existieren, werden Kinder geboren. Sie sichern uns die Zukunft. Goethe schrieb, wir sollten Kindern Wurzeln und Flügel geben. Das klingt poetisch und so einfach.
Elternsein bedeutet Nähren und Beschützen im Gleichgewicht mit Loslassen und Freigeben.
Jutta Westphalen
Jutta Westphalen hat schon viele Bücher geschrieben und im LebensGut Verlag Die weibliche Kraft kehrt zurück, Band eins: Das vergessene Wissen der weisen Frauen und Band zwei: Die Magie des Kreises veröffentlicht.
Über Jutta Westphalen
Jutta Westphalen ist Diplom-Pädagogin und hat zudem Psychologie studiert. Sie ist anerkannte Heilerin, systemische Familienaufstellerin, Coach und Autorin. Über 25 Jahre hat sie in ihrer eigenen Praxis Einzelberatungen und Frauen-Workshops durchgeführt. Zu ihren Themen zählen Meditation, Selbsterfahrung, Intuitionsschulung, Finden der weiblichen Kraftquellen, Medizinrad-Wissen und schamanische Reisen.
Fotos: Unsplash (Jessica Rockowitz, Liana Mikah, Guille Pozzi, Anton Luzhkovsky (Titelbild)