Zweifeln trotz Erfolgen oder wann sind wir uns selbst genug?

In diesem Gastbeitrag macht sich Künstlerin und Autorin Stephanie Marie Steinhardt viele Gedanken über ihr Zweifeln trotz ihren Erfolgen als Malerin und Schriftstellerin. Sie will wissen, wieso diese ewigen Selbstzweifel uns begleiten, wann wir uns selbst genug sind und wie uns Kreativität, Kunst, Liebe und Kontemplation dabei helfen, die Zweifel loslassen zu können. Wann genau sprechen wir eigentlich von Selbsthass, wie gelingt es die Opferrolle abzulegen und aus alten Verhaltensmustern zu schlüpfen?

Wie entstehen Selbstzweifel?

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich die Zusage vom LebensGut-Verlag in meinem E-Mail-Postfach vorfand. Die Zusage, dass sie mein Buch verlegen würden. Ich war gerade bei meiner Mutter und mich durchströmte im ersten Moment ein Gefühl der Freude. Ich war aufgeregt, erleichtert, gespannt, glücklich, alles zur gleichen Zeit. Meine Mutter stand neben mir, meine Schwägerin im Garten nebenan und obwohl ich viel fühlte, war ich doch ein bisschen schaumgebremst. Ich wollte meine Freude nicht groß herausschreien. Ich ging also nach Hause zu meinem Mann und verkündete auch dort die frohe Kunde, deutlich euphorischer. Wir stießen an mit einem alkoholfreien Sekt in meinen Lieblingsgläsern mit Gustav Klimt Aufdruck und Goldrand. Saßen auf unserer klapprigen Gartenbank unter dem Holunderbusch und hingen unseren Gedanken nach.

Ich konnte diesen noch etwas unwirklichen Moment der Freude, der Erleichterung etwa 30 Minuten genießen. Denn schon bald begannen sich Zweifel in mir breit zu machen. Zweifel an mir, an meinem Buch, am Verlag, an allem. Zweifel an der ganzen Situation. Fragen wie:

„Bin ich gut genug? Ist mein Buch gut genug? Ist es der richtige Verlag? Ist es wirklich das, was ich will?“, ploppten in mir auf und vertrieben damit schnell jedes Hochgefühl.

Stephanie Marie Steinhardt

Verrückt, wo ich mir schon so lang einen Vertrag mit einem Verlag gewünscht hatte.

  • Wieso konnte ich das alles nicht einfach nur genießen?
  • Wieso baute sich direkt der nächste Berg vor mir auf, den es zu erklimmen galt?
  • Ich schaute nicht zurück, auf das was geschafft war, sondern auf die Herausforderungen, die da plötzlich alle vor mir lagen und das waren viele.
  • Waren das Selbstzweifel oder ein Hunger nach noch größeren Zielen, nach noch mehr Anerkennung?
  • Oder ist das am Ende irgendwie das Gleiche, nur in anderem Gewand? Woher kommen Selbstzweifel?

Dr. Nicole LePera, klinische Psychologin, führt Selbstzweifel auf ganz verschiedene Ursachen zurück. Unverarbeitete Kindheitserfahrungen, fehlende emotionale Unterstützung und Anerkennung, Glaubenssätze aus Familie und Kultur, Perfektionismus und übermäßiger Leistungsdruck, Angst vor Ablehnung und Kritik, um nur mal die ersten Recherchetreffer zu nennen. Perfektionismus, übermäßiger Leistungsdruck, zu wenig Anerkennung – das sind Buzzwords, die mich in gewisser Weise treffen.


Wann handelt es sich um Selbsthass?


Zum Glück reichen diese Erscheinungen bei mir nicht derart tief, dass sie sich in etwas so Ungesundes wie Selbsthass verwandeln. Denn dieser zeichnet sich durch ein starkes Gefühl von eigener Wertlosigkeit aus. Ein Gefühl, das zu selbstverletzendem Verhalten und Schlimmerem führen kann.

Selbsthass ist geprägt von Selbstabwertung, Vermeidungsverhalten, von Selbstsabotage, Schuld- und Schamgefühlen. Doch die Übergänge sind fließend und auch wenn ich mich noch weit weg vom Ende des Spektrums wahrnehme, erkenne ich auch bei mir einige ungesunde Verhaltensmuster.

Denn wie anders könnte ich mir erklären, dass die Freude über einen großen Erfolg wie einen Autorenvertrag nicht mal eine Stunde anhielt? Ich denke, dass hier der Perfektionismus zuschlägt, der überhöhte Leistungsdruck. Denn es war ja schließlich nicht der Autorenvertrag bei einem Verlagsschwergewicht wie Piper oder Diogenes. Schon das allein genügt, um das Ganze, mich selbst innerlich kritisch zu beäugen.

Stephanie Steinhardt zeigt ihre Portraits von Frauen mit ausdrucksstarken Augen.


Warum fühle ich mich gern als Opfer?


Dieser Umstand genügt, um eine Tür in Richtung „das arme Ich“ aufzustoßen. Ich bekomme nicht genug, werde nicht gesehen. Man stürzt sich kopfüber in eine Opferrolle, die so wunderbar warm und kuschelig erscheint. Dort fühlt man sich wohl. Es schützt vor weiterem Aktionismus und Handlung und hält uns fest in einem Gefühl der Hilflosigkeit, in dem Gefühl, dass man ja sowieso tun kann, was man will, es wird sowieso nicht klappen. Man ist dort frei von Verantwortung. Schön.
Aber auch hier zum Glück. Da ich mich nun schon seit mehr als fünf Jahren intensiv mit meinen Gedanken beschäftige, viele Coachings durchlaufen und Bücher zum Thema persönliche Weiterentwicklung gelesen habe, kann ich das alles mit etwas Abstand betrachten. Ich wechsle also immer wieder, wenn möglich, in eine beobachtende Rolle. Betrachte meine Gedanken und Gefühle. Schau sie mir von allen Seiten an und überprüfe deren Wahrheitsgehalt.
Sah D’Simone, ein spiritueller Lehrer, sagt: „Um wirklich zu transformieren, musst du alle Teile von dir willkommen heißen, besonders jene, die du verstecken möchtest.“


Ich betrachte also meine Gedanken, rund ums arme Ich, um das Opfer in mir, und erkenne sie einfach nur an. Sie sind da, kommen vielleicht aus meiner Kindheit, vielleicht aus unserer Gesellschaft oder woher auch immer. Die Herkunft ist dabei weniger bedeutend. Sah vertritt die Auffassung, dass es viel gesünder ist, die Story, das Warum und Woher fallen zu lassen und einfach nur im Gefühl, im Moment zu sein. Wenn also die Opferrolle an meine Tür klopft, bitte ich sie herein, trinke mit ihr eine „Tasse Tee“, denn dann kann sie auch wieder gehen und Raum frei machen für schönere Gedanken und Ideen.

Stephanie Steinhardt malt ein Portrait einer Frau mit ausdrucksstarken Augen und neutralem Gesichtsausdruck.


Wie durchbreche ich den Teufelskreis aus Selbstzweifeln?


Doch das alles lässt sich leicht schreiben oder sagen. „Nimm doch ein bisschen Abstand ein zu dir und deinen Gefühlen, sprich ein paar positive Affirmationen, sei lieb mit dir…“ Das, was da in uns spricht und kritisiert, läuft schon seit Jahrzehnten in Dauerschleife und kann nicht einfach so von heute auf morgen gestoppt werden. Sein Verhalten, sein Denken zu ändern, verlangt viel Aufmerksamkeit, sehr viel Achtsamkeit. Und oft ist der schlechte Gedanke so viel schneller als die positive Affirmation. Dr. Nicole LePera sagt, dass unsere Gedanken so kraftvoll sind. Sie können uns entweder heilen oder aber alte Muster des Schmerzes und der Selbstzweifel verstärken.
LePera hat die Schwierigkeit beim Durchbrechen von eingefahrenen Verhaltens- und Denkmustern sehr schön in ihrem Buch „How to do the work“ erklärt. Sie meint, dass wir geneigt sind, wenn wir ein Problem oder ein ungesundes Verhaltensmuster entdeckt haben, dieses sofort und ein für alle Mal lösen und verändern zu wollen. Dabei gehen wir sehr motiviert zu Werke. Wir beginnen mit Journaling, gehen Joggen, achten auf unsere Ernährung usw.

Doch dieser Zustand ist nur von kurzer Dauer.

Nach einigen Tagen/Wochen fallen wir zurück, sind erschöpft.

Alles ist wie zuvor. 
Sie erklärt es damit, dass wir mit diesen vielen Änderungen unser Nervensystem überfordern. Unser Gehirn merkt, da sind große Transformationen im Gange, das ist aufwändig für unseren Körper und damit gefährlich. Es zwingt uns also zum Abbruch und setzt dabei alle Mittel ein. Erklärt das alles für blöd und sinnlos. Da das Neue tatsächlich aufwändiger ist, sind wir wirklich körperlich erschöpft und können nur aufhören.
Um trotzdem aus diesem Teufelskreis negativer Gedanken und Verhaltensmuster ausbrechen zu können, schlägt sie vor, nur eine einzige neue Verhaltensweise in den eigenen Alltag zu integrieren.

Möglichst eine, die nicht länger als zehn Minuten unseres Tages in Anspruch nimmt. Ein/zwei Seiten in ein Future-Journal schreiben (wie soll mein Tag werden, im besten Sinne), morgens ein Glas Wasser trinken oder ein kurzer Spaziergang einmal pro Tag. Erst wenn man es geschafft hat, dieses neue Handeln für 30 Tage am Stück durchzuhalten, sollte man die nächste gesunde/neue Handlung integrieren. So würde man unter dem Radar fliegen.

Die Veränderungen seien damit zu gering, um dass unser Nervensystem sie als mögliche „Gefahr“ einstufen kann. Es sieht sich also nicht dazu gezwungen die Veränderungen zu blockieren.

Stephanie Steinhardt hält lachend ihren Debütroman "Das rote Vogelmädchen" in Händen.


Hilft eine frische Liebe, ein*e Partner*in gegen Selbstzweifel?


Doch ich schweife ab. Ich hatte nun also einen Autorinnenvertrag und auch erkannt, was da alles in meinem Kopf los war. Gedanken wie: „Oh Gott, jetzt können alle lesen, was ich geschrieben habe. Jetzt können alle doof finden, was ich geschrieben habe. Die Menschen könnten denken, dass das, was da in meinem Liebesroman steht, alles ich bin, könnten mich und Bene verwechseln.“

  • Was würden die Leute denken, die mich kennen?
  • Wie würden sie mich bewerten?


Ich habe seit 27 Jahren einen Mann an meiner Seite. Wir sind seit 17 Jahren verheiratet und damit könnte man meinen, ist doch alles da. Eine solide Basis, auf der ich mich und mein Selbstwertgefühl stabilisieren kann. Doch so einfach ist das alles nicht. Ein*e Partner*in ist nicht dafür da, die eigenen Selbstzweifel zu beseitigen, das Selbstwertgefühl zu steigern. Wenn es blöd läuft, kann ein*e Partner*in, egal ob liebend oder nicht, das eigene Selbstwertgefühl sogar schmälern.

  • Bin ich gut genug für meine*n Partner*in?
  • Verdient er nicht doch etwas viel Besseres?


Solch große Veränderungen, wie die Veröffentlichung eines Buches können ebenfalls die Beziehung auf die Probe stellen. Denn auf einmal hat ein*e Partner*in etwas, dass ihn vielleicht in den Augen anderer wertvoller macht. Ist man dann seiner Liebe noch würdig? Und so komme ich wieder zurück zu Dr. LePera die sagt, wahre Heilung kann nur in uns selbst beginnen.

Stephanie Steinhardt malt ein Portrait einer Frau mit neutralem Gesichtsausdruck und ausdrucksstarken Augen.


Können Kunst und Kreativität Selbstvertrauen und Selbstwert stärken?

Ich selbst schreibe nicht nur, sondern male auch. Während bei mir das Schreiben sich anfühlt, als würde ich mich in wilde Abenteuer stürzen, ist das Malen für mich eine Art Rückzug, fast gleich einer Meditation. Dabei komme ich zur Ruhe, habe Zeit zur Reflektion und bin vollkommen verankert im Moment. Ich vergesse dabei häufig Zeit und Raum. In all der Aufregung um den Autorinnenvertrag, um all das Ungewisse, das damit verbunden war, fokussierte ich mich auf die Kunst und ließ meiner Kreativität freien Lauf.

Ich malte verschiedene Cover zum Buch und brütete über möglichen Marketingmaßnahmen. Ich bastelte kleine rote Tauben aus Papier und versendete sie an Künstlerfreund*innen aus aller Welt, damit sie die Tauben an ihren Wohnorten mit ihrer Kunst fotografieren konnten.

Aus meiner Malerei schöpfte ich in diesem Moment also sehr viel Kraft und Selbstvertrauen. Was fast schon eine Ironie des Schicksals ist. Denn gerade zu Beginn meiner Malerei war ich total verunsichert. Ich wusste nicht, ob das, was ich da erzeugte, überhaupt genügend Qualität besaß. Doch inzwischen kann ich zurückblicken auf viele glückliche Käufer und Käuferinnen. Plötzlich fühlte ich mich sicherer in meiner Kunst als in meinem Schreiben. Und das, obwohl ich seit 20 Jahren meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Sachtexten verdiene. Aber das sind ja nur Sachtexte und kein Roman. Ganz genau, du liebes, böses kritisierendes Ich. Danke dafür.

Wozu sind Zweifel da?


Es stimmt, mein Roman ist neu und alles, was neu ist macht erstmal Angst. Es ruft alle Zweifel auf den Plan, denn wozu sind sie da die Zweifel? Sie wollen uns beschützen, sie wollen dafür sorgen, dass wir bleiben, wo wir sind, weil wir dort vermeintlich sicher sind. Doch wollen wir das? Wollen wir einfach nur sicher sein oder haben wir nicht auch Lust ab und an etwas Neues zu erleben, etwas Neues zu fühlen und auszuprobieren?
Ich schon. Und das ist leichter, wenn wir uns an diesem Leitsatz festhalten:

„Denk daran, du bist alle Liebe und Freude wert, genauso wie du bist.“

Sah D’Simone
Cover: Das rote Vogelmädchen

Mein Roman „Das rote Vogelmädchen“ mag mein erster Roman sein. Er mag nicht perfekt sein, genauso wenig, wie es meine Protagonisten Bene und Jacob nicht sind. Doch er verdient es dennoch da zu sein. Dank des LebensGut-Verlags hat er überhaupt erst die Möglichkeit dazu bekommen!!
 Und genauso verdienen es auch du und ich da zu sein, uns selbst zu lieben und Freude daran zu haben, dass wir am Leben sind, wir ganz viel erleben und fühlen dürfen.

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Über Stephanie Steinhardt

Stephanie Marie Steinhardt, geboren am Valentinstag 1981, studierte Kommunikation und technische Illustration in Merseburg. Seit fast 20 Jahren arbeitet sie als Autorin und technische Redakteurin. Neben dem Schreiben malt sie Frauenporträts mit Acryl, die sie auf Social Media teilt. Ihre Werke haben in 18 Ländern und 27 US-Bundesstaaten ein Zuhause gefunden. Seit einigen Jahren versendet sie monatlich einen Love Letter zu ihren Porträts. Der Love Letter zu ihrem Bild „Bene“ inspirierte sie 2021 zu ihrer ersten Liebesgeschichte. Stephanie lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und zwei Katzen in Halle (Saale).

Stephanie Steinhardt, eine Portraetkuenstlerin, sitzt auf einer Bank im Freien.

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